Burgstall startet Südtirols erste Erneuerbare Energiegemeinschaft

Burgstall startet Südtirols erste Erneuerbare Energiegemeinschaft – Gemeinde Burgstall

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Deshalb hat sich Burgstall dazu entschieden, eigene Wege zu gehen und am 4. Oktober 2022 Südtirols erste Energiegemeinschaft gegründet, realisiert als Pilotprojekt mit dem Raiffeisenverband Südtirol, der Alperia AG und dem Technologieunternehmen Regalgrid Europe.

Burgstall ist auf dem Weg zu Südtirols erster Energiegemeinschaft. Herr Brugger ist als Energieassessor der Gemeinde von Beginn des Projekts an ganz vorne mit dabei. Wie kam es zu diesem Vorhaben?

Hansjörg Brugger: Nachdem die Energiekosten im Jahr 2022 massiv angestiegen waren, haben wir uns als Gemeindeverwaltung darüber Gedanken gemacht, wie wir auf Gemeindeebene Energie einsparen und ob es eine Möglichkeit geben könnte, selbst Energie zu produzieren. Es wurden mehrere Optionen in Betracht gezogen und geprüft. Beim Genossenschaftsmodell ziehen alle einen Vorteil daraus. Nach intensiven Gesprächen mit Vertretern der Alperia und dem Raiffeisenverband starteten wir dieses Pilotprojekt.

Ein wichtiges Datum in dem Zusammenhang ist der 4. Oktober 2022. An diesem Tag fiel der endgültige Beschluss des Gemeindeausschusses zur Gründung der Energiegemeinschaft. Wie wird das Projekt in der Gemeinde angenommen?

Laut aktuellem Stand haben sich inzwischen ca. 100 Haushalte bzw. Betriebe bei der Energiegenossenschaft registriert und wollen mitmachen. Der gesamte Gemeinderat steht einstimmig hinter diesem Projekt.

Theoretisch möglich wären sowohl Geothermie, Windkraft, Sonnenenergie als auch Wasserkraft (z.B. mittels Mikroturbinen in der Etsch). Realistisch umsetzbar sind in nächster Zukunft allerdings letztere beiden: Sonnenenergie und Wasserkraft.

Hansjörg Brugger, Energieassessor Burgstall

Welche erneuerbaren bzw. regenerativen Energien sind in Burgstall denn theoretisch umsetzbar und welche realistisch?

Theoretisch möglich wären sowohl Geothermie, Windkraft, Sonnenenergie als auch Wasserkraft (z.B. mittels Mikroturbinen in der Etsch). Realistisch umsetzbar sind in nächster Zukunft allerdings letztere beiden: Sonnenenergie und Wasserkraft.

Könnte Burgstall als Pilotgemeinde in Zukunft sogar energieautark werden?

Zurzeit ist das schwer einzuschätzen. Die Zukunft wird es uns zeigen.

Wie ist der aktuelle Stand des Projekts?

In nächster Zeit findet ein Treffen mit allen Neumitgliedern statt. Dann wird die Genossenschaft gegründet. Es finden ständig Gespräche mit den zuständigen Projektpartnern statt.

Zu den wichtigsten Playern innerhalb des Projektes zählen neben dem Bürgermeister und dem Gemeindeausschuss von Burgstall, Ing. Alessandro Costa als Vertreter von Alperia, Ing. Stefano Nassuato und Emiliano Lutteri von Regalgrid, sowie Barbara Passarella, die Ansprechpartnerin im Raiffeisenverband. Letzterer wurde von den Partnern formal und inhaltlich auch als federführend anerkannt. Was das genau bedeutet, erklärt Frau Passarella.

Barbara Passarella: Der Raiffeisenverband ist für die Organisation der Treffen mit den öffentlichen Verwaltungen und der Informationsveranstaltungen für Bürger und Unternehmen in der Region zuständig. Dabei werden wir von dem Leiter für Sonderprojekte von Alperia Ing. Costa unterstützt.

Wir koordinieren alle Aktivitäten, von der Machbarkeitsanalyse bis hin zur Erstellung des Geschäftsplans, führen die Sammlung von Bewerbungen fort und geben Hilfestellungen von der Gründung der Gemeinschaft bis zum Übergang in eine Genossenschaft.

Von dem Moment an, in dem die Gemeinschaft vom nationalen Betreiber GSE zugelassen wird, ist es unsere Aufgabe, uns um alle Angelegenheiten zu kümmern, die für die Entwicklung, die Verwaltung, die Buchhaltung und das steuerliche Management sowie das weitere Wachstum jeder unserer Mitgliedsgemeinschaften notwendig sind.

Nach einem Jahr fruchtbarer Zusammenarbeit haben wir am 23. Dezember 2022 einen Exklusivvertrag für die nächsten fünf Jahre zur Förderung, Entwicklung und Verwaltung von Energiegemeinschaften über das Pilotprojekt hinaus in der gesamten Provinz und auf nationaler Ebene unterzeichnet.

Barbara Passarella, Raiffeisenverband Südtirol

Frau Passarella, Anfang 2022 hat der Raiffeisenverband, Alperia und Regalgrid eine Absichtserklärung unterzeichnet, um „ein standarisiertes Verfahren zur Gründung von Energiegemeinschaften zu ermöglichen“. Wie kam es dazu?

Unsere Zusammenarbeit begann mit einem ersten Treffen am 23. Dezember 2021, bei dem wir die Weichen für die Absichtserklärung gestellt haben. Im März 2022 haben wir dann ein erstes „Memorandum of Understanding“ für die gemeinsame Realisierung eines Pilotprojekts unterzeichnet, das unsere Expertise als Raiffeisenverband in der bedarfsgerechten Geschäftsentwicklung einer Region, die Expertise von Alperia im Bereich Energiewirtschaft und die Kompetenz von Regalgrid in der technologischen Innovation zur Optimierung von Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen zusammenführt.

Nach einem Jahr fruchtbarer Zusammenarbeit haben wir am 23. Dezember 2022 einen Exklusivvertrag für die nächsten fünf Jahre zur Förderung, Entwicklung und Verwaltung von Energiegemeinschaften über das Pilotprojekt hinaus in der gesamten Provinz und auf nationaler Ebene unterzeichnet.

Das Verfahren beinhaltet aber auch ein Gesamtpaket, das, am Beispiel von Burgstall, die Gemeinde insgesamt energieeffizienter machen soll. Wie ist so ein Projekt aufgebaut?

Die Gemeindeverwaltung von Burgstall – der bald auch andere folgten – erwies sich in jeder Hinsicht als besonders aufgeklärt. Gemeinsam mit dem Bürgermeister und den Gemeinderäten, wie einer Gruppe proaktiver Unternehmer, haben wir während der Sommermonate an der Konzeption des Pilotprojekts gearbeitet, bis schließlich der Beschluss gefasst wurde, der den Startschuss für die eigentliche Aktion gab.

Nach den üblichen Formalitäten haben wir gemeinsam eine Bürgerversammlung veranstaltet, derzufolge sich interessierte Bürger und Unternehmen bewerben können, um sich am Projekt zu beteiligen. Für Letztere, sowie für die Stadtverwaltung wurde mit der Energieanalyse und der Planung der Photovoltaikanlagen begonnen, die sowohl auf den Dächern der gemeindeeigenen Gebäude als auch auf den Dächern von Unternehmen und Privatpersonen, die dies beantragt haben, installiert werden sollen.

Sobald die Umsetzungsdetails der europäischen RED II-Verordnung transparent gemacht sind, werden wir die formalen Schritte zur Gründung der Energiegemeinschaft als Genossenschaft einleiten. In der Zwischenzeit starten wir einen Aufruf an alle zertifizierten Handwerker in der Gemeinde und der Umgebung, um sie mit der Aufgabe betraut zu machen, die installierte Leistung innerhalb der Gemeinde zu vervielfachen.

Barbara Passarella

In den nächsten Tagen werden alle Bewerber um Mitgliedschaft in der entstehenden Energiegemeinschaft ein sogenanntes „SNOCU“ erhalten, ein kleines Plug-and-Play-Tool, mit dem wir eine präzise Analyse der Verbrauchskurven durchführen können.

Das ist notwendig, um die Ausgewogenheit zwischen Verbraucher und Prosumenten innerhalb der Gemeinschaft zu optimieren und sicherzustellen, sodass der kollektive Verbrauch mit einem erheblichen Prozentsatz des Anreizes zur Senkung der Energiekosten für alle belohnt wird. Einschließlich jener Verbraucher, die noch keine Anlage installieren können oder wollen und somit die von ihnen selbst erzeugte Energie nicht physisch und direkt verbrauchen können.

Die Analyse der Verbrauchskurven und die Auswertungen für die genaue Ausarbeitung des Geschäftsplans werden unter Einbeziehung des Know-hows der EURAC durchgeführt, mit der wir mit unseren Partnern eine grundlegende Kooperationsvereinbarung, im Rahmen eines innovativen Netzwerks für angewandte Forschung in diesem Bereich, eingegangen sind.

Sobald die Umsetzungsdetails der europäischen RED II-Verordnung transparent gemacht sind, werden wir die formalen Schritte zur Gründung der Energiegemeinschaft als Genossenschaft einleiten. In der Zwischenzeit starten wir einen Aufruf an alle zertifizierten Handwerker in der Gemeinde und der Umgebung, um sie mit der Aufgabe betraut zu machen, die installierte Leistung innerhalb der Gemeinde zu vervielfachen.  Als Projektkoordinatoren stellen wir ihnen Instrumente und Verfahren zur Verfügung und garantieren so den erfolgreichen Anschluss von „EEG-ready“-Photovoltaikanlagen.

Sie haben soeben über die Gesetztes-Verordnung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/2001 RED II gesprochen. Die Verordnung ist Medien zufolge eine wesentliche Grundlage für die Gründung von Energiegemeinschaften. Worum geht es in dieser Verordnung?

Mit dem RED II-Gesetzesdekret und den Durchführungsbestimmungen, die laut jüngstem ARERA-Rundschreiben innerhalb März 2023 zu erwartet sind, werden einige der wichtigsten Einschränkungen der Übergangsregelung für Energiegemeinschaften überwunden. Das bedeutet, dass eine Energiegemeinschaft künftig den vorgesehenen Förderbeitrag für den kollektiven Energieverbrauch in Anspruch nehmen kann. Der von einer oder mehrerer Anlagen mit einer Leistung von höchstens 1 MW erzeugt wird. Bislang lag die Höchstgrenze bei 200 kW.

Der Bezugsraum für die Mitglieder einer Energiegemeinschaft wechselt damit von der Sekundärkabine zur Primärkabine, d. h. von einigen Gebäuden in derselben Straße hin zum Gebiet einer oder mehrerer benachbarter Gemeinden und dass es mit den neuen gesetzlichen Vorgaben möglich sein wird, dass bis zu 30 % der Gesamtenergie, die einer Energiegemeinschaft zur Verfügung steht, aus bestehenden Anlagen bereitgestellt werden können.

Alperia begann bereits 2018 mit einem ersten Pilotprojekt für erneuerbare Energiegemeinschaften im NOI-Techpark in Bozen in Zusammenarbeit mit der EURAC und dem Technologiepartner Regalgrid

Ing. Alessandro Costa, Alperia AG

Mit Alperia ist ein nationaler Vorreiter im Bereich der Zusammenarbeit mit Institutionen für die Schaffung von Energiegemeinschaften mit an Boot. Ein wichtiger Ansprechpartner innerhalb des Unternehmens ist Ing. Alessandro Cosat. Im Gespräch beteuert er, dass die ersten Anläufe von erneuerbaren Energiegemeinschaften schon lange vor Burgstall in Südtirol gestartet wurden.

Alessandro Costa: Alperia begann bereits 2018 mit einem ersten Pilotprojekt für erneuerbare Energiegemeinschaften im NOI-Techpark in Bozen in Zusammenarbeit mit der EURAC und dem Technologiepartner Regalgrid, als es noch keine spezifischen Rechtsvorschriften zu diesem Thema gab und das Konzept der virtuellen gemeinsamen Nutzung von selbst erzeugter Energie durch verschiedene Nutzer über das Stromnetz noch weit entfernt und futuristisch erschien.

Dank seiner Innovationsbereitschaft erkannte Alperia schon damals, dass die Digitalisierung des Stromnetzes viele neue Möglichkeiten bietet. Eine der wichtigsten davon war, dass sich Nutzer zusammenschließen können, um ein neues Energiemodell zu schaffen, das heute als dezentral und kollaborativ bezeichnet wird.

Dennoch gilt die Gründung Burgstalls Energiegemeinschaft in Südtirol als wegweisend. Was war für Alperia der Anreiz an diesem Projekt?

Alperia ist einer der Förderer dieses Projekts, das den beteiligten Nutzern eine große Chance bietet, aber gleichzeitig eine gewisse Komplexität aufweist, sowohl in der Phase der Durchführbarkeitsstudie, der Zusammenführung der Mitglieder und der Gründung der Energiegemeinschaften selbst.

Alperia will zusammen mit ihren Partnern Raiffeisenverband und Regalgrid ihre Erfahrung im Elektrosektor im Allgemeinen und im Bereich der Energiegemeinschaften im Besonderen zur Verfügung stellen, um dieses vorteilhafte und kooperative Energiemodell voranzubringen. Es führt nicht nur zu Einsparungen bei der jährlichen Stromrechnung der Mitglieder der Energiegemeinschaft, sondern bringt auch positive Auswirkungen für das Territorium mit sich, indem es eine solidarische Wirtschaft fördert, die Verbreitung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien begünstigt, Beschäftigungsmöglichkeiten schafft und die Modernisierung der Infrastrukturen fördert. Burgstall ist als Standort insofern besonders geeignet, weil es von einer einzigen Umspannstation (Umspannwerk von Hoch- auf Mittelspannung) versorgt wird. Das schreibt auch das neue Dekret vor.

Wirtschaftlich gesehen ist Strom aus Fotovoltaik- und Windkraftanlagen der neuen Generation heute billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken. Außerdem sind die Kosten für Strom aus Photovoltaikanlagen seit 2009 um 90 % gesunken

Ing. Alessandro Costa

Aus gutem Grund lautet sogar das siebte Ziel aus der Agenda 2030: „Bezahlbare und Saubere Energie“. Sie sind Vertreter Südtirols größten Energiedienstleisters. Wie aber auch warum ist „saubere“ Energie auch „günstig“?

Erneuerbare Energiequellen als Alternative zu den herkömmlichen fossilen Brennstoffen stellen eine wertvolle und durchaus günstige Ressource für die ökologische Nachhaltigkeit dar. Heute decken fossile Brennstoffe noch immer den größten Teil des weltweiten Energieverbrauchs, aber die Produktion aus erneuerbaren Energiequellen nimmt zu: Der Anteil an sauberem Strom ist weltweit von 18 % im Jahr 2009 auf fast 28 % im Jahr 2020 gestiegen.

Wirtschaftlich gesehen ist Strom aus Fotovoltaik- und Windkraftanlagen der neuen Generation heute billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken. Außerdem sind die Kosten für Strom aus Photovoltaikanlagen seit 2009 um 90 % gesunken, wie maßgebliche Studien zeigen, die die Entwicklung der erneuerbaren Energien für den Übergang zu einer nachhaltigen Energiezukunft untersucht haben. Sowohl bei der Fotovoltaik als auch bei der Windenergie kam es zu einem Preisrückgang im Vergleich zu vor zehn Jahren, während der Preis für Kohleenergie in etwa gleich blieb bzw. sogar einen leichten Anstieg von 1 % verzeichnete.

Auch die Kernenergie ist um 33 % teurer geworden. Ziel ist es, die Netto-CO2-Emissionen bis 2050 auf null zu reduzieren: ein Ergebnis, das erreicht werden kann, wenn erneuerbare Energien bis Mitte des Jahrhunderts mehr als die Hälfte der weltweiten Stromerzeugung abdecken, und die Entwicklung der Stromerzeugungskosten führt uns in diese Richtung.

Die Verbreitung von Energiegemeinschaften wird vor allem mit dem Argument der günstigeren Strompreise vorangetrieben, ein erheblicher Prozentsatz der Nutzer gibt aber auch Gründe an, die mit der ökologischen Nachhaltigkeit zusammenhängen.

Ing. Alessandro Costa

Wie sehen Sie die Zukunft von „Energiegemeinschaften“ im Energiesektor und warum wird dieses Konzept auch für einfache Haushalte und KMU’s immer attraktiver?

Experten gehen davon aus, dass die Anzahl an erneuerbaren Energiegemeinschaften in Italien in den nächsten drei Jahren beträchtlich zunehmen wird, auch wenn der Rechtsrahmen und die Anreizregelung bis heute noch nicht endgültig festgelegt sind. Wir müssen bedenken, dass wir ein Land mit einer starken „grünen“ Ausrichtung sind, in dem mehr als 3.500 Gemeinden ausschließlich erneuerbare Energien nutzen und die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien den Bedarf der Haushalte übersteigt.

Eine Studie des Politecnico von Mailand besagt, dass es in Italien innerhalb von fünf Jahren mehrere zehntausend Energiegemeinschaften geben wird, die etwa 1,2 Millionen Haushalte, 200.000 Büros und 10.000 KMUs umfassen. Ein nicht zu vernachlässigender Trend, wenn man bedenkt, dass bei der Volkszählung im Mai 2022 in Italien etwa 100 erneuerbare Energiegemeinschaften gezählt wurden, von denen nur 35 betriebsbereit waren und 65 sich noch in der Planungsphase befanden.

Die Verbreitung von Energiegemeinschaften wird vor allem mit dem Argument der günstigeren Strompreise vorangetrieben, ein erheblicher Prozentsatz der Nutzer gibt aber auch Gründe an, die mit der ökologischen Nachhaltigkeit zusammenhängen, ein Thema, das bei einer nicht unwesentlichen Bevölkerungsgruppe unseres Landes auf besonderes Interesse stößt.

Vielen Dank für das freundliche Gespräch.

Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung in der Bezirkszeitung Die BAZ. Näheres unter diebaz.com. Hier geht’s zurück zur Startseite von tirol news!

Bildnachweis: Südtirols erste Energiegemeinschaft © Gemeinde Burgstall
  • 2. Februar 2023