EURAC Research untersucht in Meran Südtirols Biodiversität
In den Frühjahrs- bzw. Sommermonaten machen Forscherinnen und Wissenschaftler von EURAC Research Halt in Meran-Sinich und untersuchen Südtirols Artenvielfalt im Gemeindegebiet um Meran. Die Erhebungen sind Teil des landesweiten Biodiversitätsmonitorings, das seit 2019 anläuft. Projektkoordinator ist Andres Hilpolt. Er ist Senior Researcher des Instituts für Alpine Umwelt in der EURAC und gibt nähere Auskunft über dieses Forschungsgroßprojekt.
Herr Hilpold, skizzieren Sie uns kurz. Worum geht bei diesem Vorhaben in Meran?
Andreas Hilpold: Das Monitoring soll die Entwicklung der gesamten Südtiroler Biodiversität aufzeigen, wobei der Schwerpunkt auf Artengruppen liegt, die unmittelbar auf Umwelt- und Landnutzungsänderungen reagieren: Vögel, Fledermäuse, Heuschrecken, Tagfalter, Gefäßpflanzen, Bodenorganismen und Süßwasserfauna. Alle Erhebungen in den 320 terrestrischen und 120 aquatischen Untersuchungsgebieten werden in regelmäßigen Abständen wiederholt, um die Entwicklung unserer Artenvielfalt zu dokumentieren. Das Biodiversitätsmonitoring Südtirol dient damit nicht nur der Grundlagenforschung, sondern soll auch die wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungen zur Raumplanung, Landwirtschaft und zum Naturschutz liefern.
Gab es bereits ein derartiges Projekt?
Das Projekt ist für Südtirol einzigartig, es gibt jedoch in der Schweiz ein vergleichbares Monitoring und in Österreich ein Monitoring in der Kulturlandschaft. Derzeit werden noch in vielen weiteren Ländern Biodiversitätsmonitorings aufgebaut. Für Südtirol gab es zahlreiche Erhebungen von Tieren und Pflanzen in der Vergangenheit. Allerdings wurden diese meist nicht so durchgeführt, dass sie Vergleichserhebungen zulassen. Beim Biodiversitätsmonitoring ist das anders: alle Erhebung werden nach genauen Protokollen und an klar abgegrenzten Standorten durchgeführt und regelmäßig wiederholt. Nur so kann ein wirkliches Monitoring gelingen, welches uns nicht nur den Status-Quo, sondern auch die Muster und Trends, also die Entwicklung der Biodiversität in Südtirol aufzeigen kann.
Wie ist dieses Projekt der EURAC Research entstanden und wer sind die Initiatoren?
Das Projekt entstand auf Initiative der Südtiroler Landesregierung. Es war vor allem der vormalige Landesrat für Natur und Landschaft – Richard Theiner – der sich aktiv dafür einsetzte. Beim Institut für Alpine Umwelt der Eurac stieß das Anliegen klarerweise auf offene Ohren.
Welche Rolle spielen die verschiedenen Projektträger bei der Durchführung des landesweiten Monitorings?
Das Projekt wird federführend von Eurac Research durchgeführt. Die Daten landen jedoch in einem zweiten Moment in der Datenbank des Naturmuseums. Dasselbe gilt für im Projekt gesammelte Tier- und Pflanzenbelege. Mit den Abteilungen für Naturschutz, Landwirtschaft und Forst sind wir in enger Abstimmung, schließlich sind es diese Ämter die einen besonderen Bedarf an fundierten, naturkundlichen Daten haben.
Der Begriff des „Biodiversitätsmonitorings“ deutet an, dass es sich um ein sehr breit angelegtes Projekt handelt. Welche Aufgaben liegen insbesondere beim Team des EURAC Research Zentrums?
Das Programm ist in mehrerlei Hinsicht breit angelegt. Zum einen untersuchen wir eine Reihe von Tier- und Pflanzengruppen in allen wichtigen Lebensraumtypen Südtirols. Uns war es wichtig, dass auch alle Landesteile und Täler gut abgebildet werden. Neben unserer wissenschaftlichen Tätigkeit sind wir auch sehr bemüht, die Ergebnisse durch Artikel, Vorträge und weitere Veranstaltungen, unseren Webauftritt usw. in die Öffentlichkeit zu tragen. Zu Guter Letzt ist es uns ein Anliegen, die Erforschung der Biodiversität auch außerhalb des Projektes zu fördern, die Akteure zu verknüpfen und auch die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich einzubeziehen – etwa im Rahmen von Citizen Science Projekten, also Projekten in denen Bürgerinnen und Bürger die Forschung unterstützen.
Welche Forscher und Forscherinnen von EURAC Research sind bei diesem Monitoring beteiligt?
An der Eurac Research arbeitet ein Entomologe, ein Vogelkundler, eine Säugetierexpertin, und eine Botanikerin direkt im Projekt. Zudem sind unsere Arbeitsgruppen für Boden- und Gewässerökologie involviert und eine Kollegin kümmert sich um die Kommunikation und Vermittlung. Meine Aufgabe ist es, das Projekt zu koordinieren, daneben erhebe ich im Projekt noch die Heuschrecken.
Wie kann man sich die Erhebung des Naturinventars unseres Landes praktischvorstellen?
Die ersten Erhebungen beginnen zeitig im Frühjahr mit unserer Gewässergruppe, welche die Gräben im Etschtal untersucht, bevor sie zu den Bergbächen wechselt. Der Vogelkundler startet Mitte April und besichtigt insgesamt zwei bis dreimal alle 64 Standorte. Es folgen die botanischen Erhebungen, welche bis Ende Juli andauern. Im Mai beginnen auch die Tagfaltererhebungen, wobei der Experte jeden Standort drei bis vier Mal im Laufe des Sommers besichtigt. In den warmen Sommermonaten installieren wir auch die Ultraschall-Aufnahmegeräte, anhand derer wir die Fledermausarten beobachten.
Welche Herausforderungen stellen sich den Forschenden bei den unterschiedlichen Erhebungsmethoden?
Die Herausforderungen sind sehr unterschiedlich. Tagfalter und Heuschrecken können nur bei Sonnenschein und wenig Wind erhoben werden, da muss das Wetter natürlich mitspielen und ein verregneter Sommer würde uns in arge Schwierigkeiten bringen. Auch bei den Fledermäusen macht uns das Wetter oft einen Strich durch die Rechnung: wenn es in der Nacht regnet und stürmt, ist die Fledermausaktivität sehr eingeschränkt und die Ultraschalllaute der Fledermäuse nicht mehr hörbar. Bei den Gefäßpflanzen ist die schiere Anzahl an Pflanzenarten, die es im Feld zu erkennen gilt, eine Herausforderung. In Südtirol haben wir immerhin über 2.500 Pflanzenarten. Wenn dann oft Blüten oder Früchte fehlen, ist eine Bestimmung schwierig.
Was waren die bisherigen Meilensteine des Projektes?
Unser größter Meilenstein steht kurz bevor: es ist der Abschluss der ersten fünf Erhebungsjahre. Nach Abschluss dieses ersten Zyklus, kehren wir an die ersten Erhebungspunkte von 2019 zurück. So haben wir nach Ende dieses Erhebungsjahrs und der Auswertungen ein umfassendes Bild des Ist-Zustands unserer Biodiversität außerhalb der Fließgewässer. Ein Jahr später endet auch der erste Zyklus des Fließgewässermonitorings. Anschließend wird es spannend sein zu sehen, wie sich die Biodiversität in unserem Land in Zukunft entwickelt.
Welche Erkenntnisse lassen sich schon jetzt aus dem Biodiversitäts Monitoring ziehen?
Einige Muster sind jetzt schon sehr klar. Je intensiver die Landwirtschaft, desto ärmer die Biodiversität. Magerwiesen und Weiden weisen in praktisch allen Tier- und Pflanzengruppen deutlich höhere Werte auf als Intensivwiesen, mit einer Reihe von hochspezialisierten und zum Teil auch gefährdeten Arten, angefangen von Neuntöter und Braunkehlchen bis hin zumRoten Scheckenfalter und dem Weißdolch-Bläuling.
Dasselbe Muster sehen wir, wenn wir Streuobstwiesen mit Intensiv-Obstanlagen vergleichen.Beides, intensive Obstanlagen und intensiv bewirtschaftete Wiesen besitzen nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung für die Biodiversität. Zudem sehen wir deutlich, dass die Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft einen positiven Effekt auf die Biodiversität hat. Je mehr Lebensräume wir auf engem Raum finden und je mehr Hecken, Waldinseln, Gräben usw. es gibt, desto mehr Vogel-, Fledermaus- und Tagfalterarten finden wir.
In welchem Zustand befindet sich Südtirols Naturlandschaft?
Die Naturlandschaft ist jener Teil unserer Landschaft, der vom Menschen nicht oder weniger beeinflusst wurde – also das Gegenstück zur Kulturlandschaft. In Südtirol sind dies in erster Linie Gebirgsregionen und Wälder. Hier finden wir in der Regel eine große Vielfalt, die aber klarerweise, stark von den geographischen und geologischen Bedingungen abhängt. Eine Felsflur auf Dolomitgestein weist eine andere Vielfalt auf als eine auf Granit und ein Föhrenwald im kontinentalen Vinschgau eine andere als ein eher atlantisch geprägter Fichtenwald in Pflersch. Diese Unterschiede sehen wir sehr deutlich in unseren Ergebnissen. Insgesamt wird der menschliche Einfluss in Randgebieten eher geringer, punktuell kann er aber auch sehr stark sein, etwa in touristisch genutzten Gebieten. Immer mehr machen sich aber auch die Folgen des Klimawandels bemerkbar. Kälteadaptierte Lebensräume samt ihrer Tier- und Pflanzenwelt sind auf dem Rückzug.
Welche Chancen aber auch Risiken sehen Sie als Projektkoordinator in der aktuellen Landschafts- und Raumentwicklung in unserem Land?
Die Gefahr ist mehr denn je, dass wir wertvolle Lebensräume zerstören, weil wir nicht einmal wissen dass es sie gibt. Landauf und landab werden größere oder kleinere Eingriffe getätigt, die Urbanisierung und Zersiedelung ist nach wie vor im Gange. Viele Entscheidungen über Eingriffe wurden zuletzt auf die Gemeindeebene delegiert. Es bleibt zu hoffen, dass dort auch die Kompetenz und der Wille besteht, wertvolle Lebensräume zu erkennen und deren Schutz vor den Interessen einzelner zu setzen.
In diesem Jahr steht nicht zuletzt auch die Industriezone von Sinich im Zentrum des Monitorings. Was macht das Gebiet um Meran in Hinblick der Biodiversität so interessant?
Industriegebiete haben einen Charakter, der sich deutlich von dem von Städten und Dörfern unterscheidet. Die meisten Strukturen sind größer, Zierpflanzen fehlen ganz oder sind großflächig angeordnet. Oft gibt es auch große, brachliegende Flächen, welche für einige Arten interessant sein können. Häufig kommen in Industriegebieten Neophyten vor, also Pflanzen, die durch menschliche Einflüsse in unsere Regionen kommen, hier aber nicht heimisch sind.
Wie ist das Monitoring in Sinich aufgeteilt? Und wer sind die Forschenden vor Ort?
Das Monitoring in Sinich findet wie in allen anderen Standorten statt: Der Vogelexperte Matteo Anderle begibt sich an drei Terminen für jeweils 10 Minuten zum Standort und bestimmt die vorkommenden Vogelarten anhand ihres Gesangs. Um die Ultraschallaute von Fledermäusen aufzunehmen, installieren wir für drei aufeinanderfolgende Nächte ein Ultraschallaufnahmegerät. Dieses zeichnet die Aktivitäten der Fledermäuse auf und macht sie am PC für unser Ohr hörbar. So kann die Expertin Chiara Paniccia nicht nur erkennen, welche Fledermäuse am Standort unterwegs waren, sondern auch, was sie dort gemacht haben: haben sie ihren Uterschlupf dort, haben sie gejagt oder sich miteinander unterhalten? Für die Erhebungen der Tagfalter schreitet der Experte Elia Guariento ein Transekt, eine gerade Linie, von 50m ab und fängt in 30 Minuten alle Tagfalterarten, die vorbeifliegen mit seinem Fangnetz. Er bestimmt die Tagfalter und entlässt sie gleich wieder in Freiheit. Auch die Heuschrecken werden mit einem Fangnetz gefangen, bestimmt und wieder freigelassen, dies erfolgt an nur einem Termin im Hochsommer. Diese Erhebungen führe ich selbst durch. Die Gefäßpflanzen in Siedlungsgebieten erhebt die Botanikerin Lisa Angelini entlang eines Transekts von 100m, die sie abschreitet und jedes noch so kleine Grashalm bestimmt.
Es handelt sich bei dem Biodiversitätsmonitoring in Südtirol um ein Langzeitprojekt, so heißt es auf der Projektseite der EURAC Research. Was bedeutet das und wie geht es nun weiter mit dem Projekt?
Das Monitoring soll uns nicht nur den Zustand unserer Biodiversität aufzeigen, sondern auch die Entwicklung, die Trends. Deshalb kehren wir nach fünf Jahren, und auch in Zukunft, nach 10 bzw. 15 Jahren an die ursprünglichen Erhebungspunkte zurück. Z.B. kehren wir in fünf Jahren, also 2028 wieder in die Industriezone Sinich zurück, um unsere Erhebungen durchzuführen. So wollen wir verstehen, ob sich die Biodiversität in unserem Land verändert und wenn ja, warum. Mit diesen Informationen wollen wir politische Entscheidungen unterstützen. Das Monitoring dient auch dazu, wichtige administrative Anforderungen zu erfüllen, wie z.B. Auswirkungen von getroffenen Umweltmaßnahmen zu überprüfen oder als Grundlage für die regelmäßige Berichterstattung über den Zustand der Arten und Lebensräume im Rahmen der Habitat-Richtlinie.
Dieser Beitrag erschien in einer gekürzten Fassung in der Bezirkszeitung Die BAZ. Näheres unter diebaz.com. Hier geht’s zurück zur Startseite von tirol news!
Bildnachweis: EURAC Research Biodiversität Team Südtirol © Eurac Research/ Martina Jaider